Nach dem anstrengenden Tag wieder ein Ausflug mit dem Auto zum Ausruhen. Das Ziel war die östlichste Stadt Deutschlands (auch wenn wir so das Spree-Tal mal verlassen mussten).
Die Anfahrt bei sonnigem Wetter machten wir nicht per Autobahn oder Bundestrasse, sondern über die Via Regia: eine der ältesten und längsten Landverbindung zwischen Ost- und Westeuropa, von Kiew nach Santiago de Compostela. Ein Abschnitt beginnt in Görlitz und endet in Bautzen: Wir folgten also dieser einen Etappe gegen die Richtung. Wie schon üblich machten auch diesmal diverse Baustellen die Durchführung schwierig, aber die Umleitungen waren für uns immer nur eine neue Abwechslung mit neuen Einblicken in unser Urlaubsland. Wir hatten es ja nicht eilig und genossen die Landschaft in der die Wiesen und Wälder einen schönen Kontrast mit den blühenden Rapsfeldern bildeten.
In Görlitz angekommen parkten wir an der erstbesten Stelle, denn wir wollten den Marsch in die Innenstadt zum "Häuser-Gucken" nutzen. Görlitz ist vom Krieg weitgehend verschont geblieben, und den geplanten Abriss der Innenstadt konnte die DDR nicht finanzieren. So gibt es dort nun über 4000 größtenteils bereits sanierte Baudenkmäler, insbesondere viele schöne Villen aus der Gründerzeit und Bürgerhäuser. Nachfolgend einige Impressionen:
Hier die Volksbibliothek (die auch einen hochmoderen Anbau hat!)
Die Kombination von Bruchsteinen und gebrannten Ziegel ist etwas was mir besonders gut gefällt.
Ein kleiner Park gegenüber dem Postamt.
Viele Gebäude sind saniert, aber eine große Anzahl ist noch vom Verfall
bedroht oder wird gerade saniert. Daher sind Absperrungen und Gerüste
überall Teil des Stadtbildes.
Die Geschäfte zeigten sich von ihrer schönsten Seite. Manchmal war die
Dekoration so schön, dass wir im nachherein gar nicht mehr wussten, was
hier verkauft wurde:
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Schöner Ladeneingang... doch was konnte hier gekauft werden? |
Wir wollten dann auch mal schauen wie es auf der polnischen Seite aussieht. Vom weiten sichtbar war schon diese Plattenbau-Siedlung.
Wir sind dann über die neue Altstadtbrücke zu Fuß über die Neisse um uns das genauer anzuschauen. Direkt an Ende der Brücke drei Tabak-Geschäfte, dann eine Häusergruppe die frisch saniert aber leer stehend war (an den Fenstern klebten noch die Etiketten), und bereits in der zweiten Häuserzeile Plattenbauten. Ich habe keine Fotos gemacht. Mir war das zu schaurig.
In Zgorzelc, dem "polnischen Stadtteil" von Görlitz, zeigte sich insgesamt schon ein Fortschritt bei der Infrastruktur. Doch der Kontrast zwischen funktionellen, lieblosen Betonbauten und nunmehr renovierten Bürgerhäusern war einfach nicht mehr schön... zudem fehlte ja das Leben in den renovierten Häusern, was dem Ganzen einen Mantel von "Geisterstadt" überwarf. Die dubiosen Tabakläden... hier Zigaretten passten zum Klischee.
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Schulgruppe in Partylaune |
Ganz anders und lebhafter aud der Görlitzer Seite: Alle Menschen, denen wir begegneten, waren freundlich und ließen sich auf eine Begrüßung ein oder ein Nicken. Wir wurden während unseres Aufenthaltes mehrmals von Jugendgruppen "belagert", die ihren Abschied von der Schule (Abschluss Realschule, schätze ich) feierten. Mit lustiger bunter Verkleidung, lauten Tröten und Trillerpfeifen umschwärmten sie die Menschen, baten um eine kleine Gabe, um Party machen zu können. Nette Tradition.
Die vielen Eindrückte machten uns müde. Wir verzogen uns in das
Café Lucullus - ein richtiger Geheimtipp. In einem Haus in der Peterstraße, aus dem 16. Jahrhundert, bewirtete uns der Eigentümer mit Spezialitäten des Hauses, so z. B. einer Mohnpiele (Mohn, Mandeln, Milch, Brötchen-Törtchenmus...) und perfektem Kaffee. Ah, so schön kann Urlaub sein:
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Urlauberin im Café Lucullus |
So gestärkt begaben wir uns mit unseren Navigationsgeräten bewaffnet auf die Suche nach einem Fahrradhandel. Der Spezialist Little John Bikes, etwas außerhalb der Innenstadt, bot dann auch alles, was das Fahrradherz begehrte... nur keinen Adapter für eine Ortliebtasche. Wir wussten allerdings, dass wir hier schon etwas anspruchsvoll waren. Ziel war ja letztlich auch, einmal die Stadt Görlitz von anderer Perspektive aus zu erwandern.
In der Görlitzer Innenstadt nahm uns auf dem Weg zurück zum Auto die Architektur wieder gefangen. In der Stadt kann man noch schöne Ruinen finden, wie zum Beispiel diese alte volkseigene Kondensatorenfabrik:
Von der Seite
Und hier die Fassade
Von der polnischen Seite aus wird die Görlitzer Altstadt in erster Linie von der St.Peter-und-Paul-Kirche geprägt. Hierin befindet sich die im Jahr 1703 erbaute "Sonnenorgel". In den Jahrhunderten hat sie natürlich auch Kriege, Umbauten, Zerstörungen mitmachen müssen. Der
Freundeskreis Görlitzer Sonnenorgel e.V. setzt sich seit 1991 dafür ein, dass die Orgel komplett in Stand gesetzt ist und bleib. Von 1995 bis 2004 erfolgte die Restaurierung. Nun verfügt die einzigartige Orgel über 88 Registern mit 6095 klingenden Pfeifen. Die Gesamtkosten wurden 2008 vollständig bezahlt: 1,5 Millionen Euro. Spenden werden weiterhin für die Instandhaltung entgegengenommen.
Tipp: Gute heimsche Küche gibt es im "Nachtschmied". Die historische Gaststätte bietet mit einer kleinen überschaubaren Speisekarte Leckeres aus sorbischer und deutscher Küche zu angemessenen Preisen. Auch, wenn man etwas länger als sonst auf die Bedienung wartete, war dies nicht langweilig. Der Raum war gespiekt mit historischen Gerätschaften aus Schmiedebetrieben, schönen Holzarbeiten, alten Fotos und anderen Utensilien. Die Holzvertäfelung und Glasmalerei schaffte behagliches Ambiente.
Und hier noch ein letztes Bild von Görlitz: Die ehemalige Jäger-Kaserne, in der nun die Stadtverwaltung untergebracht ist.
Nachdem wir uns an Görlitz satt gesehen hatten (oder besser: müde gesehen), machten wir uns auf den Rückweg. Der führte uns zunächst zum Hausberg der Görlitzer, der Landeskrone, die nur wenige Kilometer westlich der Stadt liegt. Der 420m hohe Basalt-Hügel ist vulkanischen Ursprungs, und war schon seit der Bronzezeit fast immer mit einer Burg gekrönt. Die letzte wurde aber bereits 1440 von den Görlitzern Bürgern nieder gemacht.
Heute befindet sich dort ein kleines Hotel und ein Aussichtsturm. Diesen bestiegen wir und genossen den herrlichen Rundumblick, bis hin zum Iser- und Riesengebirge.
Ebenfalls zu finden ist dort diese 1901 errichtet Bismarck-Säule. Bismarck ist übrigens Ehrenbürger von Görlitz.
Nächste Station unserer Heimreise war die Kleinstadt Löbau.
Diese war 2009 Standort der sächsischen Gartenschau, das Gelände ist wohl auch heute noch sehenswert, wir beschränkten uns diesmal auf die hübsche Altstadt.
Diese ist fast vollständig saniert.
Um etwas Lokal-Colorid zu schnuppern, zogen wir uns auch hier in ein kleine Café zurück. Während ich Zeitung las, verfolgte Hilde den Produktions-Werbefilm der Bäckerei Schwerdtner. Später sahen wir unterwegs ein Produktionsvideo über die zahlreichen Produktionsschritte von der Idee bis zum Stempel. In einem Schaufenster eines alteingesessenen Stempelherstellungsbetriebes - Schmorrde - stand der Fernseher, außen, unter dem Dach war ein Lautsprecher angebracht. Sehr interessant. Diese Firma ist übrigens eine der wenigen die sich nach der Wende einen neuen Kundenkreis in West- und Ost aufbauen konnte, und so den Umsatz steigern konnte. Insbesondere die frühe Nutzung des Internets war dabei ein Erfolgsfaktor.
Wie man sieht war die Sanierung der Löbauer-Altstadt gut durchgeplant.
Aber schon heute sieht man die Zeichen der Zeit: Grünspan an den Wetterseiten und Graffiti an den hellen Flächen.
Zurück in Bautzen versuchten wir mal unser Hotel ohne Navi zu finden. Hätten wir auch bestimmt geschafft, wenn nicht eine innerstädtische Baustelle uns auf eine Nebenstrecke und so aus dem Konzept gebracht hätte. So musste die Navi doch noch mal kurz ran, denn der Stadtplan lag immer noch zuhause... 20 Minuten erfolgloses Try and Error.